
Blutstammzellspende
Auf dem Weg zurück
Nach der Diagnose stand vieles still. Dreieinhalb Jahre später steht Raphael Marchon am Start des SWISSMAN Xtreme Triathlon. Es ist für ihn ein Wettkampf, der weit mehr ist als nur sportliche Leistung.
Es gibt sportliche Wettkämpfe, die erzählen mehr als nur von Kilometern. Einer davon führt an diesem Nachmittag durch Zweilütschinen. Nach Wochen der Hitze steigt mit dem ersten Regen ein erdiger Duft vom Asphalt auf. Ich mache mich zu Fuss auf den Weg in Richtung Wilderswil. Dabei halte ich Ausschau nach Raphael Marchon, der in der entgegengesetzten Richtung unterwegs ist. Bis jetzt kenne ich ihn nur als Stimme am anderen Ende der Leitung. Heute aber kreuzen sich unsere Wege. Auf Höhe Krummeney treffen wir aufeinander. Wir begrüssen uns. Ich wende und laufe neben ihm. In den nächsten zwei Stunden darf ich einen Teil seiner Geschichte sein.
Vor drei Jahren erhielt Raphael Marchon die Diagnose Leukämie. Heute läuft er den SWISSMAN Xtreme Triathlon. Das bedeutet 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42 km Laufen, mit dem Schlussaufstieg auf die Kleine Scheidegg. Für ihn ist dieser Wettkampf mehr als ein Meilenstein. Er ist der wohl sichtbarste Moment seiner Rückkehr ins Leben.
Zwischen Piste und Unispital

Die Landschaft zwischen Zweilütschinen und Burglauenen ist unspektakulär. Die Berghänge rücken enger zusammen, die Enge des Tals wird spürbar. Unterwegs erzählt mir Raphael Marchon von seiner besonderen Beziehung zu Grindelwald. «Vor dreieinhalb Jahren waren wir dort in den Skiferien, und ich merkte zum ersten Mal, dass etwas mit meinem Körper nicht stimmte. Selbst die kleinste Anstrengung machte mir zu schaffen.» Raphael ging zum Hausarzt. Wenige Tage später kam im Unispital Basel nach eingehenden Untersuchungen die Wahrheit ans Licht: myelodysplastisches Syndrom (MDS), eine Vorform der akuten myeloischen Leukämie (AML).
Schnell war klar, dass Raphael nur mit einer Blutstammzellspende überleben konnte. Kurz nach Gündlischwand passieren wir die Buechisteg-Hängebrücke. «Nach der Diagnose habe ich mit meiner Frau alles geregelt, für den Fall, dass ich die Krankheit nicht überleben würde. Dann haben wir dieses Dossier in eine Schublade gelegt und gesagt: Ab jetzt zählt nur noch das Zurückfinden ins Leben.» Raphael hatte Glück. Es wurde ein passender Spender gefunden. Seit der Transplantation ist die Krankheit nicht mehr nachweisbar.
Ein Ziel mit anderem Namen

Direkt vor dem Aufstieg nach Burglauenen steht ein Freund von Raphael und dessen Sohn am Strassenrand. Sie klatschen, reichen ihm einen Becher mit koffeinhaltigem Erfrischungsgetränk. «Hopp Raphi!», rufen sie ihm hinterher. Die Schritte werden kürzer.
Die Entscheidung am SWISSMAN teilzunehmen, traf Raphael Marchon nach einer Kontrolluntersuchung Anfang Jahr. «Die Ärzte im Spital haben Freude an mir. Sie sagen mir jeweils, ich solle einfach weiterhin so viel Sport treiben.» Dabei wollte er das eigentlich gar nicht mehr. Schon vor der Erkrankung war er passionierter Ausdauersportler. Doch während seines mehrwöchigen Spitalaufenthaltes hatte er viel Zeit zum Nachdenken. Irgendwann sagte er zu seiner Frau, dass er diese Art von Herausforderungen nicht mehr brauche. Den Kick vor den Wettkämpfen, die Adrenalinausstösse, das habe er oft genug erlebt. Jetzt habe er ein anderes Ziel: Er wolle gesund werden.
Ins Wasser springen mit Jan van Berkel
Im Mai 2024 sitzt Raphael Marchon zu Hause auf dem Sofa und schaut auf SRF das Format DOK –«Nach der Sportkarriere – Herausforderungen im neuen Alltag» an. Zum Auftakt des Films sieht man den Spitzentriathleten Jan van Berkel unmittelbar vor dem Start seines letzten Ironmans.
«Diese Bilder der Vorbereitung und vor allem die Szene, als Jan mit dem Startschuss ins Wasser springt, haben in mir wieder etwas ausgelöst. Ich wollte dieses Gefühl wieder erleben».
Kurz vor Grindelwald müssen wir einen kurzen Zwischenhalt einlegen. Ein Bauer treibt seine Simmentaler Herde auf die Weide. Als er uns sieht, winkt er freundlich und ruft, dass wir passieren dürfen.
Beim Weiterlaufen erzählt mir Raphael von seiner Familie. Die Zeit nach der Diagnose sei für alle herausfordernd gewesen, besonders auch für seine beiden Söhne. Umso schöner sei es, dass sie ihn heute wieder so fit erleben dürfen. Der jüngere der beiden wartet ausserhalb des Bergdorfs. Gemeinsam laufen sie die letzten paar hundert Meter. Ein kurzer Weg, der für beide lang war.
Auf den letzten Metern
In Grindelwald Terminal liegt der letzte offizielle Kontrollpunkt. Hier endet mein Abschnitt. Raphael Marchon läuft weiter, begleitet von seiner Frau Céline, die ihn schon den ganzen Tag als offizielle Supporterin begleitet hat. Das Reglement des SWISSMAN verlangt, dass der letzte Streckenabschnitt gemeinsam mit der Supportperson zurückgelegt wird. Für Raphael ist das mehr als eine Vorschrift. «Ohne Céline an meiner Seite hätte ich diesen Wettkampf nicht geschafft. So wie ich die Krankheit ohne eine Blutstammzellspende nicht überlebt hätte.»
Ich steige in den Zug auf die Kleine Scheidegg. Es ist kurz nach halb neun, am Fuss des Eigers ist es kühl geworden. Am Nachmittag habe es sogar gehagelt, hat mir der Lokführer erzählt. Zum Glück hat der Regen inzwischen aufgehört.
Die beiden Söhne von Céline und Raphael warten oben, gemeinsam mit einer kleinen Fangemeinde. Die Stimmung ist fast andächtig.
Kurz vor neun tauchen die beiden aus dem Hang auf. Schritt für Schritt nähern sie sich und laufen nach 15 Stunden und 55 Minuten gemeinsam mit ihren Söhnen ins Ziel.
Raphael Marchon hat Hoffnung weitergegeben
Während des SWISSMAN wollte Raphael Marchon nicht nur Ausdauer beweisen, sondern auch etwas zurückgeben. Deshalb hat er auf der Plattform inspire-now.ch eine Spendenaktion gestartet.
Sie begleitete ihn bis ins Ziel und brachte 2360 Franken für den Ausbau des Schweizer Registers für Blutstammzellspenden ein. Geld, das hilft, Hoffnung weiterzugeben.
Vielleicht steht auch bei Ihnen ein besonderer Moment bevor, ein Geburtstag, ein Jubiläum oder eine sportliche Herausforderung? Wenn Sie auf Geschenke verzichten möchten, starten Sie Ihren eigenen Spendenanlass. So wie Raphael Marchon es getan hat.